„Es geht um eine angemessene Regulierung“
Immer mehr Regulierung, immer bürokratischere Vorgaben. Ein großes, inzwischen fast existenzbedrohendes Phänomen für Genossenschaftsbanken. Doch gibt es einen Weg zurück? Und wie könnte dieser aussehen? Die BI hat gefragt. Und BVR-Vorstand Daniel Quinten sowie BVR-Bereichsleiter Dr. Holger Mielk haben einige Ideen, in welche Richtung es gehen sollte.
BI// Wenn Sie so etwas lesen wie „Wissenstest für Kunden bei der Wertpapierberatung“ – was denken Sie dann?
Quinten// Da fallen mir spontan zwei einfache Begriffe ein: Entmündigung und falsch verstandener Verbraucherschutz. Wir haben – regulatorisch getrieben – einen ausgefeilten Anlageberatungsprozess eingeführt, damit die Bank dem Kunden risikoadäquat maßgeschneiderte, auf sein Profil passende Angebote unterbreitet. Da wird dieser Wissenstest nicht benötigt und ist leider ein Beispiel für überbordende Bürokratie.
BI// Viele Regulierungen, die aus Brüssel kommen – nicht nur im Finanzbereich – tragen doch genau diese Handschrift…ein speziell europäisches Problem?
Quinten// Die Wahrnehmung mag daran liegen, dass sich der europäische Gesetzgeber und Regulator nicht nur physisch, sondern auch inhaltlich weiter entfernt hat von denen, die er reguliert. Europäische Behörden – hier sei beispielhaft die EBA genannt – sind reine Regulierungsinstitutionen und agieren praxisferner und weniger zugeschnitten auf nationale Charakteristika als eine nationale Aufsichtsbehörde
Mielk// Zudem existiert auf europäischer Ebene kein adäquates Checks-und-Balances-System wie beispielsweise auf deutscher Ebene. Die Tatsache, dass der europäische Gesetzgeber Kompetenzen im Rahmen der Rechtsetzung an Verwaltungsbehörden – also den ESAs in unserem Bereich – abgibt, ist aus meiner Sicht nichts Besonderes. Dasselbe tun wir in Deutschland auch. Doch in Europa fehlt es an einem angemessenen Kontrollmechanismus, der am Ende entscheidet, ob sich die Exekutive noch im Rahmen ihrer zugeordneten Kompetenzen bewegt oder diese Kompetenzen überschreitet. Es gibt zwar einen Europäischen Gerichtshof. Doch der funktioniert ganz anders als die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er ist für kleinteilige Bewertungen gar nicht gemacht. Hinzu kommt, dass diese in den Behörden massenhaft produzierte Regulatorik auch bei gutem Willen vom Europäischen Parlament gar nicht mehr kontrolliert werden kann. Und am Ende landet das alles auf unseren Schreibtischen im BVR und dann bei unseren Mitgliedsbanken – und die beklagen sich natürlich zu Recht.
BI // Also ist der Zug für die regulatorische „Abrüstung“ schon längst abgefahren?
Quinten// Bleiben wir in dem Bild des fahrenden Zuges: Unser Ansatz ist es, den fahrenden Zug zunächst anzuhalten und dann umzuleiten. Wir brauchen in Europa erstens einen Stopp neuer Regulierung – das Anhalten. Genauso wichtig ist zweitens, dass wir uns alle bestehenden Regulierungen einmal genauer ansehen und überlegen, welche davon sinnvoll, welche redundant und welche widersprüchlich sind – der erste Teil des Umleitens. Und drittens ist es notwendig, uns diesen gesamten Prozess anzuschauen, wie Regulierung in Europa produziert wird. Dieses so genannte Lamfalussy-Verfahren, die Kompetenzen der so genannten ESAs, muss grundlegend überarbeitet werden – der zweite Teil des Umleitens. Denn Maß und Mitte sind bei der Regulierung verloren gegangen.
Mielk// Zurzeit haben wir lediglich eine eingleisige Strecke – das so genannte Single Rule Book. Ein One-size-fits-all-Ansatz, der aber für viele Kreditinstitute gar nicht passt, die mit in diesem Zug sitzen und mit hohem Tempo in die falsche Richtung fahren. Kurz gesagt: Wir wollen weg vom Single Rule Book hin zu einem differenzierteren Regulierungsansatz, der den Realitäten gerechter wird. Dies ist im Übrigen auch nichts Neues, sondern entspricht dem Regulierungsansatz unter Basel II, wie er in der Finanzkrise existierte. Da gab es keine Diskussionen um etwaige Wettbewerbsverzerrungen durch die Regulatorik.
BI// Und in welche Richtung soll es stattdessen gehen?
Mielk// Das Single Rule Book ist – etwas überspitzt formuliert – die Mutter aller Probleme der fehlenden Proportionalität in der Bankenregulierung. Denn dieses Einheitssystem wird den unterschiedlichen Marktgegebenheiten in den einzelnen EU-Staaten einfach nicht gerecht. So entsteht das Problem, dass sich unsere Genossenschaftsbanken plötzlich mit Regularien konfrontiert sehen, die für sie nie gedacht und nie für sie gemacht wurden.
BI// Ein Regulierungsstopp klingt aber schon sehr drastisch. Ist das denn realistisch?
Quinten// Wichtig ist in diesem Kontext, dass es uns – trotz der Forderung nach einem Regulierungsstopp – nicht um eine ‚Regulierung light‘ geht. Aber es geht um angemessene Regulierung. Einige Meinungsäußerungen aus der Europäischen Kommission in letzter Zeit weisen auch in diese Richtung. Und die beiden Omnibus-Verordnungen sind ein erstes gutes Zeichen. Da hat man die Weichen im Bereich ESG nun anders gestellt, um im Bild mit dem fahrenden Zug zu bleiben. Allerdings reicht das natürlich bei weitem noch nicht.
BI// Sie wollen also weg vom regulatorischen Einheitsbrei, dem Single Rule Book. So weit, so gut. Doch gibt es eigentlich anderswo solche speziellen Regelwerke für kleinere Kreditinstitute? Und wie sehen die Erfahrungen damit aus?
Mielk// Wenn ich mir ansehe, was die EU für regulatorische Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen hat – also das Single Rule Book –, dann möchte ich Ihre Frage eher umdrehen. Denn mir ist außerhalb der EU kein Land bekannt, das diesem Einheitsansatz folgt. Schauen Sie in die USA, nach Asien oder Australien. Überall gibt es auch sehr mächtige Großbanken. Und überall existiert trotzdem ein spezieller Aufsichtsrahmen für kleinere Banken, deren Geschäftsmodell schließlich völlig anders ausgerichtet ist als das der teilweise riesigen Bankkonzerne. Die EU ist die einzige Jurisdiktion weltweit, die an einer solch strengen Einheitsregulierung festhält.
Quinten// Und ich frage mich, warum es der EU so schwerfällt, ihren Sonderweg zu korrigieren. Ich stehe zu dem, was ich schon öfters gesagt habe: Unsere Banken werden wegreguliert. Fusion als Ausweg vor Regulierungsaufwand, könnte man überspitzt formulieren. Wir haben nicht umsonst zwischen 30 und 40 Fusionen pro Jahr. Die sind sicherlich nicht immer nur aus regulatorischen Gründen getrieben. Aber Fakt ist auch, dass diese Regulierung so viel Geld kostet und so viele Kapazitäten bindet, dass eigentlich wirtschaftlich gesunde mittelständische Unternehmen vom Markt verschwinden, weil sie keine Kapazitäten oder kein Personal mehr haben, dieser Regulierungsflut noch Herr zu werden. ‚Too small to comply‘ ist leider ein Begriff geworden. Deshalb fordern wir, dass die EU dem Weg aller anderen großen Jurisdiktionen folgt: Zwei Regulierungsrahmenwerke – eines für große, internationale Großbanken und ein deutlich unbürokratisches System für Kleinbanken.
Mielk// Im Grunde weiß auch die EU, dass das Single Rule Book nicht funktioniert. Also warum schafft man es dann nicht ab? Und im Übrigen sehen dies die Großbanken gar nicht so viel anders. Die sind auch nicht zufrieden, weil die Kleinen ständig den Zug bremsen, von dem wir schon sprachen. Denn die Großbanken wollen, dass ihr Zugteil noch mehr Fahrt aufnimmt, damit die europäischen, international ausgerichteten Häuser mit ihren globalen Wettbewerbern mithalten können und konkurrenzfähig bleiben. Damit können wir leben. Aber dies bedingt eben, dass wir das Single Rule Book dorthin packen, wo es hingehört – in den Geschichtsschrank der Regulierung. Dann hätten wir es geschafft, den besagten Regulierungszug umzuleiten und alle Marktteilnehmer hätten davon Vorteile.
BI// Und dies ist machbar?
Quinten// Das ist ein dickes Brett, das man hier zu bohren hat. Es ändert aber nichts daran, dass irgendjemand mal anfangen muss, dieses Brett zu bohren. Wir sollten das Momentum nutzen, das sich gerade durch eine neue Legislatur in der EU und die Debatte um Wettbewerbsfähigkeit bietet. Daher: Arbeiten am System parallel zu Arbeiten im System.
BI// Und in Brüssel gibt es wirklich immer mehr politische Entscheider, die dies auch so sehen?
Quinten// Ich finde, auch in Brüssel setzt sich immer mehr die Wahrnehmung durch, dass Diversität etwas ist, was einen positiven Beitrag leisten kann für mehr Finanzstabilität.
BI// Und was ist mit der Wettbewerbsfähigkeit? Wo bleibt die dabei?
Quinten// Das ist ein entscheidender Aspekt. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzwirtschaft – und im Grunde der gesamten europäischen Volkswirtschaft – steht auf dem Spiel. Europäische Großbanken müssen auf dem internationalen Parkett wettbewerbsfähig sein – und die kleinen Institute dürfen eben nicht ‚too small to comply‘ sein. Daran kann niemand ein Interesse haben. Wir sehen gerade sehr deutlich, was in der Welt los ist und wie sich speziell die großen Player USA und China momentan positionieren. Ein starkes Europa verlangt auch nach starken europäischen Banken, die fest an der Seite europäischer Unternehmen stehen.
Mielk// Nach der Finanzkrise wurde durch diesen Einheitsansatz bei der Regulierung ein Finanzmarkt geschaffen, der keine Zukunft hat. Die Regulierung für die Großbanken sollte auch entschlackt werden, aber das ist gar nicht unser Thema. Wir müssen für die kleinen Banken einen passenden Ordnungsrahmen bauen, der deutlich weniger bürokratische Lasten mit sich bringt. Beide Maßnahmen zahlen dann ein auf einen stabilen, wettbewerbsfähigen europäischen Bankenmarkt.
BI// Doch wie kann es gelingen, hier stärker in den Dialog zu kommen – auch mit den Regulierern selbst?
Mielk// Aus unserer Sicht wäre es bei alldem besonders wichtig, dass die Regulierer bereits im Vorfeld einmal mit denen reden, die am Ende von den Vorgaben betroffen sind. Stattdessen wird entschieden, ohne zu wissen, welche Auswirkungen dies hat. Konkret: Vertreter kleinerer und mittlerer Institute sollten unmittelbaren Zugang zu den ESAs erhalten, und zwar bereits vor der Entstehung regulatorischer Vorgaben. Denn die Vertreter der ESAs treffen sich schließlich ganz selbstverständlich auch mit Repräsentanten großer, international tätiger Häuser. Dies sollte auch mit den Vertretern kleinerer Häuser geschehen. Es existiert sogar ein entsprechendes Gremium bei der EBA, ein Beratungskomitee für Proportionalität. Dort sitzen drei Personen, die sich explizit mit dem Thema Proportionalität in der Regulatorik beschäftigen. Und diese Leute sollten mit Instituten sprechen, für die Proportionalität gedacht ist – also mit kleinen und mittleren Banken.
Quinten// Insgesamt muss der Dialog zwischen Regulierern und kleinen Instituten intensiviert werden. Wir bringen uns als BVR hierbei gern und mit all unser Kraft ein.
