Wirtschaftswachstum

Deutsche Dauerflaute besorgt Nachbarn - Top-Ökonomen für Reformen

Berlin | 25.04.2024 | r

Ob Österreich, die Schweiz oder Polen: Die konjunkturelle Dauerflaute in Deutschland ruft in benachbarten Ländern Besorgnis hervor. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge wird Europas größte Volkswirtschaft in diesem Jahr mit 0,2 Prozent so langsam wachsen wie keine andere große Industrienation, nachdem sie schon 2023 mit einem Minus von 0,3 Prozent das Schlusslicht war. Ausländische Top-Ökonomen fordern daher Reformen beim großen Nachbarn – von mehr öffentlichen Investitionen bis hin zu mehr Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern.

„Ohne Konjunkturimpulse aus Deutschland tut sich Österreich schwer“, sagt der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Gabriel Felbermayr. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Österreichs. Knapp 30 Prozent der Exporte gingen in das große Nachbarland, was zwölf Prozent des österreichischen Bruttoinlandsproduktes entspricht, wie Felbermayr hervorhebt. 2023 sei das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und Österreich um acht Prozent eingebrochen. „Damit wirkt sich die deutsche Schwäche direkt negativ auf die österreichische Konjunktur“, betont der renommierte Ökonom. „Besonders der Maschinenbau, die Chemie, die Metallindustrie und der Kfz-Sektor hängen an der deutschen Konjunktur.“

Ähnlich sieht es in der Schweiz aus, für die die Bundesrepublik ebenfalls Handelspartner Nummer eins ist. „Wenn Deutschland einen Schluckauf bekommt, dann merkt das auch die Schweiz“, betont Martin Mosler, der den Bereich Finanzpolitik beim Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) leitet. Im ersten Quartal seien die Ausfuhren deshalb um 1,1 Prozent gefallen, nachdem sie schon Ende 2023 gesunken waren. „Das betrifft mehrere Branchen – von Uhren im Luxusbereich bis hin zu Zwischenprodukten, die viele hochspezialisierte Mittelständler etwa aus der Elektronikbranche nach Deutschland liefern“, sagt Mosler. „So macht sich insgesamt eine sinkende Nachfrage sowohl von Verbrauchern wie auch von Unternehmen bemerkbar.“ Zudem sorgt die deutsche Dauerflaute für Drittlandeffekte: Wenn etwa Österreich weniger nach Deutschland liefert, dann kauft der Alpennachbar auch weniger Waren aus der Schweiz. „Geht es Schweizer Firmen wegen der schwächeren Nachfrage aus Deutschland schlechter, kann sich das überdies auf Arbeitsplatzsicherheit und Löhne auswirken“, betont Mosler. „Dann wird etwa weniger ins Restaurant gegangen oder eingekauft, was ebenfalls die heimische Konjunktur bremst.“

In Polen sind ähnliche Effekte zu beobachten. „Unser Industriesektor wurde im vergangenen Jahr von der deutschen Rezession getroffen“, sagt der amtierende Direktor des Polish Economic Institute (PEI), Pawel Sliwowski. Die Produktion in energieintensiven Branchen wie der chemischen Industrie oder dem Metallguss sei seit dem Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine um etwa 15 bis 20 Prozent eingebrochen. „Diese Sektoren sind eng in die deutschen Lieferketten eingebunden“, so der Ökonom. Auch die Konsumgüterhersteller spürten die Flaute beim westlichen Nachbarn. Die Produktion von Möbeln oder Haushaltsgeräten stagniere seit 2022 weitgehend. Kein Wunder, gingen doch 27 Prozent aller polnischen Exporte nach Deutschland.

Aus dem Ausland werden deshalb die Rufe nach Reformen in Deutschland lauter. „Aus polnischer Sicht würde eine geeignetere Politik der Bundesregierung darin bestehen, die öffentlichen Investitionen zu erhöhen“, sagt PEI-Ökonom Sliwowski. Deutschland weise eine geringe Neuverschuldung aus, gleichzeitig sinke der Schuldenstand. „Ein fiskalischer Impuls dürfte die wirtschaftliche Erholung unterstützen, während die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nur mäßig langsamer voranschreiten dürfte“, betont der Experte.

In eine ähnliche Richtung weisen auch die Vorschläge von Wifo-Direktor Felbermayr. „In Deutschland muss die Investitionstätigkeit wieder in Gang kommen. Dafür braucht es kurzfristig wirksame Impulse.“ Die Bundesregierung sollte sich etwa die Investitionsprämie ansehen, die in Österreich bis Februar 2021 beantragt werden konnte und die einen veritablen Investitionsboom ausgelöst habe. Außerdem müsse Deutschland mehr tun, um das langfristige Wachstum wieder in Gang zu bekommen. „Besonders effektiv wäre wohl, wenn es sich für eine ambitionierte Vertiefung des EU-Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen, Energie und Telekom sowie für eine EU-Infrastrukturoffensive einsetzen würde“, sagt Felbermayr.

Ganz andere Vorschläge kommen aus der Schweiz. „Die Steuersätze werden hier nicht zentral in Bern für das ganze Land festgelegt, sondern autonom und individuell vor Ort in den Kantonen und eingeschränkt auch in den Gemeinden“, sagt Mosler. „In Deutschland gilt hingegen die gleiche Einkommensteuer von Cottbus bis München, unabhängig von lokalen Bedürfnissen.“ Mehr Finanzhoheit für die Länder könne sich daher positiv bemerkbar machen. Er kritisiert auch, dass in Berlin weniger Wert darauf gelegt werde, die großen Leitplanken für die Volkswirtschaft aufzustellen. „Stattdessen gibt es immer mehr Mikromanagement von Bürgern und Wirtschaft“, kritisiert Mosler. „Die speziellen Fördertöpfe und Subventionen hier und da führen aber nicht nur zu teuren Fehlentscheidungen auf Kosten aller Steuerzahler, weil man ein Land mit 84 Millionen Menschen nicht mit ein paar Beamten in der Hauptstadt feinsteuern kann.“ Das sorge auch dafür, dass Unternehmen ihre besten Köpfe nicht mehr für Innovationen, sondern für Lobbyarbeit einsetzten, um auch etwas vom Staatskuchen abzubekommen. „Deutschland würde es guttun, sich wieder mehr auf die Idee der Ordnungspolitik zu besinnen: klare Ziele und Spielregeln festlegen, aber dann die Bürger selbst machen lassen.“


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