Makroprudenzielle Maßnahmen

Keine Schnellschüsse

Wissen und Perspektive | 01.03.2024 | Isabelle Ruf
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Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt im internationalen Vergleich deutliche Unterschiede der makroprudenziellen Politik bezüglich des Wohnimmobiliensektors auf. Angesichts methodischer Unsicherheiten scheint der Weisheit letzter Schluss noch nicht gefunden – auch in Deutschland sollte daher nur mit Augenmaß gehandelt werden.

Was spätestens seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 bekannt ist, bestätigte das vergangene Jahr 2023 mit den Schieflagen von Banken in den USA und in der Schweiz erneut: Die Stabilität des Finanzsystems ist nicht selbstverständlich und bedarf eines umsichtigen Schutzes. Die verantwortlichen Aufsichtsbehörden verfügen zu diesem Zweck über ein mittlerweile umfangreiches Instrumentarium, bei dem makroprudenzielle Maßnahmen eine wichtige Rolle spielen. Hierbei richten sie den Blick auf das Finanzsystem als Ganzes mit dem Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu erhöhen und Schwachstellen zu begrenzen.

In einer umfassenden Studie befasste sich nun der Ausschuss für das weltweite Finanzsystem (Committee on the Global Financial System – CGFS) der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit den makroprudenziellen Maßnahmen verschiedener Länder. Gegenstand waren ausschließlich Maßnahmen, die auf den Wohnimmobiliensektor ausgerichtet sind, da dieser Markt im Fall gehäufter Ausfälle – aufgrund seiner hohen Relevanz – ein größeres Potenzial birgt, die Finanzsysteme zu destabilisieren.

Die Studie untersuchte 14 Länder, darunter die fünf EU-Staaten Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg und Niederlande. Außerhalb der EU wurden Australien, Hongkong, Israel, Indien, Kanada, Neuseeland, Singapur, Südafrika und das Vereinigte Königreich betrachtet. In seinem im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichten Bericht zu der Studie zeigt das CGFS auf, auf welche unterschiedlichen Maßnahmen die Behörden bislang mit welchen Zielen sowie welcher Wirksamkeit zurückgegriffen haben. Eine kritische Betrachtung zeigt, dass die Auswirkungen teilweise nicht eindeutig sind und die Behörden oft noch experimentieren. Der Bericht zur Studie ist in englischer Sprache abrufbar unter www.bis.org.

Auch in Deutschland wird derzeit erwogen, der BaFin in diesem Bereich mehr Möglichkeiten zu verschaffen. Ein solcher Schritt ist jedoch nicht notwendig und wäre verfehlt.

Makroprudenzielle Maßnahmen und Ziele

Die Autoren der Studie teilen die von ihnen beobachteten makroprudenziellen Maßnahmen in zwei Kategorien ein. Eine umfasst kreditgeberbezogene Maßnahmen und damit kapitalbezogene Vorgaben gegenüber Kreditgebern. Diese unterscheiden sich in den einzelnen Ländern in ihrer Ausgestaltung – etwa hinsichtlich der Vorgabe von Kapitalpuffern zur Verlustabsorption sowie zur Risikogewichtung.

Die andere Kategorie betrifft kreditnehmerbezogene Kreditvergabestandards. Hierzu zählen zunächst Beleihungsgrenzen (Loan-to-Value – LTV), also Obergrenzen für das Verhältnis der Kreditsumme zum Objektwert. Diese Vorgabe stellt eine bestimmte Höhe der Eigenkapitalbeteiligung des Kreditnehmers am Erwerb der Immobilie sicher.

Des Weiteren zählen zu den kreditnehmerbezogenen makroprudenziellen Maßnahmen Vorgaben, die das Einkommen des Kreditnehmers in den Fokus nehmen. Insoweit gibt es Schuldendiensteinkommensgrenzen (Debt Service-To-Income – DSTI), die das Verhältnis zwischen den kreditbedingten Belastungen aus Zins und Tilgung ins Verhältnis zum Einkommen des Kreditnehmers setzen. Sie sollen verhindern, dass der Schuldendienst die finanzielle Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers übersteigt. In die gleiche Richtung zielen Schuldeneinkommensgrenzen (Debt-To-Income – DTI), die den Kreditbetrag in das Verhältnis zum jährlichen Einkommen des Kreditnehmers setzen.

Die Studie der BIZ zeigt, dass fast alle untersuchten Länder mehrere der oben genannten Maßnahmen ergreifen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Auch Änderungen der Strategie im Laufe der Zeit wurden beobachtet, wenn beispielsweise LTV-Grenzen als nicht hinreichend wirksam erkannt und durch Vorgaben zur DSTI oder DTI ersetzt oder ergänzt wurden.

Neben dem Ziel, die Finanzstabilität zu wahren, streben die Aufsichtsbehörden unterschiedliche konkretere Zwischenziele an. Das relevanteste dieser verfolgten Zwischenziele, das alle untersuchten Jurisdiktionen eint, ist die Erhaltung der Widerstandsfähigkeit der Kreditgeber. Das zweitwichtigste, aber nicht in allen Rechtsprechungen relevante Motiv, ist die Erhaltung der Widerstandsfähigkeit der Kreditnehmer. Für wenige Jurisdiktionen spielt es zudem noch eine Rolle, Wohnimmobilienkreditzyklen abzuschwächen oder übertriebene Immobilienpreisentwicklungen in Einklang mit Fundamentaldaten zu bringen.

Erkenntnisse zur Effektivität

Die Studienergebnisse der BIZ bestätigen, dass nicht alle makroprudenziellen Maßnahmen die zuvor beschriebenen Zwischenziele gleich effektiv erreichen können.

So stärken Kapitalpuffer in erster Linie die Widerstandsfähigkeit der Kreditgeber. Gleiches gilt für Beleihungsgrenzen (Loan-to-Va-lue-Vorgaben), da sie mögliche Verluste des Kreditgebers beim Ausfall des Kreditnehmers beschränken. LTV-Vorgaben sichern hingegen nur geringfügig die Widerstandsfähigkeit der Kreditnehmer. Es zeigte sich auch, dass die durch Beleihungsgrenzen beschränkte Aufnahme von Immobilienkrediten Immobilienzyklen glätten und möglicherweise – allerdings wohl nur im geringen Maß – den Anstieg von Immobilienpreisen beschränken kann.

Kreditvergabestandards, die auf das Einkommen der Kreditnehmer abstellen (DSTI oder DTI), können laut Studie das Risiko von Ausfällen verringern und dazu beitragen, dass nur hinreichend widerstandsfähige Personen Kredite aufnehmen. Beobachtungen einzelner Länder deuten darauf hin, dass solche Maßnahmen auch mehr zur Widerstandsfähigkeit der Kreditgeber beitragen als Beleihungsgrenzen.

Wichtig ist insoweit die Erkenntnis aus der Studie, dass die gewünschten Effekte von makroprudenziellen Maßnahmen, die Kreditvergabestandards zum Gegenstand haben, ausschließlich neu aufgenommene Kredite betreffen und sich die Auswirkungen daher erst mit einiger Verzögerung zeigen. So wurde etwa in Neuseeland beobachtet, dass strenge Beleihungsgrenzen erst nach vier Jahren Wirkung zeigten. Diese Nachteile fallen bei kapitalbasierten Maßnahmen geringer aus, soweit sie auch Bestandskredite erfassen.

Beobachtet wurde zudem, dass nicht in allen Ländern verbindliche Vorgaben erforderlich waren, sondern auch publizierte aufsichtliche Erwartungen bereits den gewünschten Effekt erzielten. So trugen in Frankreich unverbindliche Leitlinien der Aufsichtsbehörde zu DSTI-Grenzwerten dazu bei, die identifizierten Risiken zu mindern.

Die Autoren der Studie konstatieren, dass die zuständigen Behörden oft experimentieren müssen und dass es nicht trivial sei, die Effektivität der Maßnahmen einzuschätzen. Die hierzu erforderlichen Untersuchungen wurden bislang dadurch erschwert, dass es kaum oder keine Abschwungphasen in Immobilienzyklen seit Einführung der Maßnahmen gab, die eine Bewertung in einer kritischen Situation ermöglichen. Weitere Herausforderungen folgen daraus, dass es zur Bewertung unterschiedliche Methoden gibt, die aber wiederum verschiedene Defizite aufweisen. Bemerkenswert ist daher ein Fazit des CGFS: „Even today, it is hard to claim that authorities know the best tools for the job.”

Schließlich regen die Autoren der Studie an, dass die Behörden mehr Kosten-Nutzen-Analysen ihrer makroprudenziellen Maßnahmen anstellen beziehungsweise verbessern sollten. Die Quantifizierung der Kosten sei zwar mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, trage aber sicherlich zur Akzeptanz der Maßnahmen bei.

Situation in Deutschland

Im Hinblick auf spezifische Finanzstabilitätsrisiken im Zusammenhang mit Wohnimmobilienkrediten wurden auch in Deutschland bereits kapitalbasierte makroprudenzielle Maßnahmen getroffen. So gilt für Kreditinstitute seit Februar 2023 ein sektoraler Systemrisikopuffer in Höhe von 2 Prozent für systemische Risiken von Wohnimmobilienfinanzierungen.

Dieser Puffer betrifft jegliche Kredite, die vollständig mit Grundpfandrechten besichert sind und bei denen dieser Umstand die Vorgaben zur Eigenmittelunterlegung mindert. Die Maßnahme trat neben den bereits seit Februar 2022 geltenden antizyklischen Kapitalpuffer, der sich auf 0,75 Prozent aller inländischen Risikopositionen bezieht und nach der Auffassung der BaFin die spezifischen Risiken des Wohnimmobilienmarktes nicht hinreichend adressiere.

Des Weiteren hat die BaFin aufgrund einer im Jahr 2017 neu geschaffenen rechtlichen Grundlage die Möglichkeit, LTV-Vorgaben aufzustellen. Zudem kann sie Amortisationsanforderungen aufgeben und damit einen Zeitraum festlegen, innerhalb dessen ein bestimmter Bruchteil eines Darlehens zurückgezahlt werden muss. Beide Instrumente hat die BaFin bislang nicht aktiviert.

Im Einklang mit Plänen im Koalitionsvertrag forderte der Finanzausschuss des Bundestags die Bundesregierung im November 2023 zu einer schnellen Einführung der gesetzlichen Grundlage für einkommensbasierte makroprudenzielle Instrumente auf, die der deutsche Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) empfohlen hatte. Der AFS ist als Gremium aus Vertretern der BaFin, der Bundesbank und des BMF in Deutschland für die makroprudenzielle Überwachung zuständig.

Er empfahl der Bundesregierung im Juni 2015, eine gesetzliche Grundlage für Vorgaben zum Schuldendienstdeckungsgrad (DSTI) und zur Gesamtverschul-dung-Einkommens-Relation (DTI) zu schaffen. Der AFS betonte in diesem Zusammenhang den rein vorsorglichen Charakter seiner Empfehlung. Den tatsächlichen Einsatz bestehender oder neuer Instrumente hielt der AFS ausdrücklich für nicht erforderlich. Das geht aus der Empfehlung des AFS aus dem Jahr 2015 hervor – abrufbar unter www. afs-bund.de.

Auch noch in seiner jüngsten Verlautbarung aus dem Dezember 2023 bemerkte der AFS zwar weiterhin erhöhte Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierungen. Die tatsächliche Aktivierung weiterer makroprudenzieller Maßnahmen mit Bezug auf den Wohnimmobiliensektor empfahl der AFS bis zuletzt jedoch nicht.

Im Einvernehmen mit der Deutschen Kreditwirtschaft lehnt der BVR ausdrücklich den Plan ab, die Basis weiterer kreditnehmerbezogener makroprudenzieller Maßnahmen gesetzlich zu verankern. In der aktuellen Situation stagnierender oder fallender Immobilienpreise sind keine systemischen Risiken im Wohnimmobiliensektor erkennbar, die solche Instrumente erfordern würden. Zudem gelten in Deutschland ohnehin bereits strenge Kreditvergabestandards und die Pflicht für Kreditinstitute, die Schuldendienstfähigkeit vertieft zu prüfen.

Diese Vorgaben tragen per se hinreichend zur Beschränkung systemischer Risiken dieser Branche bei. Weitere Auflagen würden hingegen das Kreditvergabepotenzial für den – unbestritten – dringend und auch noch auf lange Sicht benötigten Wohnungsneubau unnötig einschränken. Schon die bloße Schaffung gesetzlicher Grundlagen für Instrumente, die auf lange Sicht mangels Bedarfs nicht genutzt werden dürften und deren Wirksamkeit ohnehin nicht mit Sicherheit bestätigt ist, erscheint in diesem Kontext verfehlt.

Insoweit muss angemerkt werden, dass in der EU bislang sieben weitere Staaten neben Deutschland auf die Einführung entsprechender kreditnehmerbezogener makroprudenzieller Maßnahmen verzichten. Dies hatte das europäische Pendant zum AFS, der European Systemic Risk Board (ESRB), zwar auf eine Anfrage der Europäischen Kommission im März 2022 hin bemängelt. Der ESRB zeigt in seiner Stellungnahme jedoch auch auf, dass in anderen EU-Staaten die betreffenden Maßnahmen in hohem Maße uneinheitlich geregelt sind und hinsichtlich zahlreicher Faktoren divergierten. Das geht aus dem „Review of the EU Macroprudential Framework for the Banking Sector“ hervor.

Angesichts dieser Beobachtung muss kritisch hinterfragt werden, ob und – wenn ja – in welcher Ausgestaltung es sich hierbei um geeignete Instrumente handelt. Auch die Studie der BIZ bestätigt schließlich Unwägbarkeiten in vielerlei Hinsicht. In jedem Fall wäre die Implementierung von aufwändigen Kosten-Nutzen-Analysen notwendig. Dies ist aus verwaltungsrechtlicher Sicht sinnvoll und wird auch seitens der BIZ in ihrer Studie betont. Es steht fest, dass das Thema komplex ist und sich nicht für gesetzgeberische „Schnellschüsse“ eignet.

© Privat
Isabelle Ruf

Dr. Isabelle Ruf ist Syndikusrechtsanwältin und Referentin in der Abteilung Recht der Bankenaufsicht und Digitalisierung im Bereich Recht des BVR.



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